01 / 05 / 23
LEUCHTSPUR. Der Blog von Stefanie Körber und Stefan Pott

Das große Ding.

In Kasachstans Hauptstadt Astana ist gerade die 137. Schach-WM zu Ende gegangen. Über 3 Wochen lieferten sich der Russe Jan Nepomnajaschtschi und der Chinese Ding Liren 14 epische Partien voller Höhen und Tiefen – es gab Mut und Angst zu sehen, wirbelnde Schönheit und betongraue Rationalität, es gab Hoffnung und Enttäuschung und körperliche Zusammenbrüche und emotionale Abstürze, im Grunde gabe es also das Leben – und am Ende bekam die Welt tatsächlich das ganz große Ding, nämlich den ersten chinesischen Schach-Weltmeister: Ding Liren gewann denkbar knapp im sog. Tie Break (Blitzschach mit praktisch keiner Bedenkzeit) und durfte neben einem Preisgeld von 2 Millionen Dollar auch den König aus der letzten Partie (schwarz) mit nach Hause nehmen.

Weil das Interesse an Schach im heutigen Leben allerdings doch eine eher matte Sache ist, möchten wir die Gelegenheit nutzen und einmal einen psychologisch-therapeutischen Blick auf das königliche Spiel werfen.

Zunächst ist auffällig, wie sehr Schach lehrt und fördert, was wir auch im wirklichen Leben brauchen – Konzentration und Anstrengung beispielsweise, Phantasie und Planung. Vor allem aber stärkt Schach unser Gefühl für Verantwortung. Denn wenn Sie Schach spielen, dann sitzt niemand anders als Sie am Brett, niemand anders als Sie selbst macht die Züge – dementsprechend zahlen Sie auch selbst den Preis für Ihre Fehler und Fehleinschätzungen bzw. ziehen den Nutzen aus mutigen Ideen und phantasievollen Lösungen, aus Weitblick und Klugheit.

Ein weiterer schöner Zug von Schach: Mit geradezu wohltuender Verlässlichkeit bestraft das Spiel Illusionen – nirgendwo brechen Kartenhäuser und undurchdachte Ideen so schnell zusammen wie am schwarz-weiss-gemusterten Brett; Wunschträume und Selbsttäuschung werden wie im Leben schnell entlarvt, sie sind niemals eine gute Grundlage für das Gelingen.

Wenn Sie also noch nicht Schach spielen, dann sollten Sie aus unserer Sicht unbedingt damit beginnen. Es wäre natürlich wunderbar, wenn Schach ein verpflichtendes Schulfach wäre, sagen wir zwei Jahre lang. Weil das allerdings eine Idee ist, die ähnlich lange auf sich warten lassen könnte wie ein chinesischer Weltmeister, müssen Sie es sich wohl selbst beibringen bzw. sich als Eltern oder Großeltern darum kümmern, es ihren Kindern und Enkeln beizubringen.

Bitte tun Sie es.

Es ist ein wunderbares Vergnügen, mit Kindern Schach zu spielen. Eine lange Zugfahrt oder ein paar verregnete Urlaubstage genügen dafür schon. Und als Einstiegshilfe können Sie sich gerne auf Netflix „Damengambit“ anschauen – eine erstklassige Serie über ein Mädchen, das im Internat Schach lernt und zwar vom Hausmeister und dann am Ende tatsächlich … aber sehen Sie selbst.

Bleibt am Ende noch die oft übersehene romantische Seite des Schachspiels zu erwähnen: Es geht beim Schach um den „König“, das stimmt; das Spiel geht verloren, wenn er verloren geht. Aber die mächtigste Figur von allen, praktisch unersetzlich, das ist er nicht – das die „Dame“.

Viel besser kann man das Thema Liebe eigentlich nicht zusammenfassen …